Montag, 12. Januar 2009

Im Dezember 2008 fand ein Schreibwettbewerb zum Thema "Interkulturelles Miteinander" statt. Die Gewinner wurden am 12. Dezember in der Stadtbibliothek Duisburg bekannt gegeben. Alle ausgezeichneten Texte findet ihr in der Beilage der neuen ibibik
Hier ist der Siegertext:



Herzklopfen á la Multikulti

Eine Selbsthilfegruppe für multikulturelle Beziehungen, das wär's. Leider existiert diese bisher nur unter dem Namen „Mama“ und Schauplatz ist das heimische Wohnzimmer. Die eingelegte Vorurteilskassette scheint bei der Stelle „andere Kultur“ und „andere Mentalität“ zu hängen.
Szenarien von unterdrückten und verschleppten Frauen werden auf die innere Leinwand projiziert und ich ertappe mich selbst dabei, wie ich für einen kurzen Augenblick glaube, dass diese ganze „Angelegenheit“ viel zu viele Probleme mit sich bringt und ich es vielleicht doch lieber sein lassen sollte. Aber nur für einen kurzen Augenblick. Sehr oft kommt auch das Wort „früher“ in dem monotonen Vortrag meiner Mutter vor. „Ist es noch genauso wie früher?“, frage ich mich. „Kann es noch genauso wie früher sein, heute, in einem Zeitalter der Globalisierung?“ „Ausnahmen bestätigen die Regel“, würde sie jetzt sagen. Auch ich spule meine Kassette mit den üblichen Gegenargumenten ab, dass sie ihn nicht kenne und es alles nur Vorurteile sind, man muss jedem Menschen eine Chance geben. Sie schaut mich mit einem besorgten Blick an. Ich weiß, was sie denkt. Sie hält mich für naiv und von meiner rosaroten Brille geblendet. Wir könnten dieses Spiel der Pro- und Contra-Argumentation nun ewig fortsetzen. Ich frage mich, wie aufrichtig dieses ganze „Miteinander der verschiedenen Kulturen“ wirklich gemeint ist. Spielen wir uns alle nicht selbst etwas vor? Wollen wir dieses „Miteinander“ überhaupt?

Für mich ist er ein ganz „normaler“ Junge, wie jeder andere auch. „Europäisiert“, wie eine Freundin es genannt hat. Natürlich nicht „ganz normal“, sondern auf seine Art und Weise speziell, weil er mein Junge ist. Wir können über Absurditäten lachen und uns ernsthaft unterhalten, und das alles, ohne auch nur einen Gedanken an irgendwelche kulturellen Unterschiede zu verschwenden. Überflüssig, würden wir sagen. Überflüssig ist es zumindest dann, wenn ich mit ihm zusammen bin. Das erzähle ich ihm aber nicht. Einerseits, weil ich Angst habe, dass er es falsch versteht, aber andererseits auch, weil ich meine Mutter ein bisschen verstehen kann. Ich kann nachvollziehen, dass sie sich Sorgen um „ihr kleines Mädchen“ macht. Aber diese Sorgen sollten nicht ein Thema zwischen mir und ihm sein.

Für meine anderen Freunde scheint diese Beziehung das normalste der Welt zu sein. Noch nie hat mich auch nur ein Einziger von ihnen gefragt, ob es mich nicht stört, dass mein Freund einer anderen Kultur angehört. Im Endeffekt haben wir doch alle die gleichen Probleme: Existenzangst, Verlustangst und die Angst, sein Leben nicht ausreichend und sinnvoll zu nutzen. Zu diesen doch eher großen Sorgen gesellen sich noch die ganz vielen kleinen Alltagssorgen. In diesen Punkten sind wir alle gleich. Hier spielen verschiedene Kulturen keine Rolle. Was zählt, ist doch einzig und allein die Tatsache, dass man den anderen versteht, ihm helfen und mit ihm Spaß haben kann.

Ist es tröstlich, dass ich nicht die Einzige zu sein scheine, die mit diesem Problem der Kulturzusammenführung aufgrund von flatternden Schmetterlingen im Bauch zu kämpfen hat?
Eigentlich nicht! Eigentlich ist es traurig, dass heute immer noch so viel Misstrauen und so viele Vorturteile zwischen den Menschen bestehen. Ich möchte gewiss nicht zum Weltfrieden aufrufen oder „Make love not war“ an irgendwelche Häuserwände sprühen. Aber ein bisschen mehr Vertrauen und ein bisschen mehr Ehrlichkeit würden unserem interkulturellen Zusammenleben sicherlich gut tun. Die Zeit ist reif, aber die Menschen sind es noch nicht, so scheint es.
Vielleicht schreibe ich irgendwann noch einmal einen Text über dieses Thema, nachdem ich einen Inder geheiratet habe, meine Kinder in Schweden aufwuchsen, und wenn meine Katze aus Polen stammt.

Vanessa Pudlo
Jahrgangsstufe 12
Städt. Max-Planck-Gymnasium